Zum Inhalt springen

Wolfgang Reichmann – Bamberg (Oberfranken)

Auszeichnung: 2013 – Bad Windsheim

Laudatio

Die Oberfranken sind im Allgemeinen recht bescheiden. Wenn es etwas zu verteilen gibt, dann lassen sie schon einmal ganz generös den anderen den Vortritt. So haben sie es auch schnell verwunden, dass die Mittelfranken außer einem Super-Minister sogar ein Heimatministerium bekommen haben und dass die Unterfranken im neuen bayerischen Kabinett doppelt so oft vertreten sind wie sie selbst. Trotzdem ist es, ohne dass ich meinen Präsidentenkollegen und ihren Preisträgern zu nahe treten will, nur recht und billig, dass Oberfranken wenigstens bei der wichtigsten Veranstaltung des Jahres an erster Stelle steht, indem es den Reigen der Würdigungen heuer eröffnen darf. Begrüßen Sie deshalb, sehr verehrte Festgäste, mit mir den oberfränkischen „Gewürfelten“ 2013, die fränkische Stimme des Sports im Bayerischen Rundfunk, Wolfgang Reichmann aus Bamberg!

Wendig ist er, der typische Franke, witzig und widersprüchlich, so hat es Hans Max von Aufseß treffend beschrieben. Bislang haben die fränkischen Regierungspräsidenten 91 Frauen und Männern diese Eigenschaften nachgewiesen, um ihnen anschließend den Frankenwürfel zu überreichen. Diese Tradition wollen wir heute fortsetzen. Folgen Sie mir deshalb auf eine Entdeckungsreise durch das facettenreiche Leben des 92. Würfelträgers Wolfgang Reichmann!

Der neue „Gewürfelte“ ist geborener Bamberger, Bamberger aus Überzeugung und auch immer ein Bamberger geblieben, obwohl er als Sportreporter des Bayerischen Rundfunks ja eigentlich keine regionalen Grenzen kennt. Er ist sozusagen ein „Supra“-Franke, dessen Horizont weit über Färdd und Nämberch hinausreicht. Dass samstags gegen halb vier in ganz Deutschland Kreissägen und Rasenmäher verstummen, daran trägt er zweifellos eine gewisse Mitschuld. Über 500 Bundesligapartien hat er schon für die Kultsendung „Heute im Stadion“ übertragen. Die Schlusskonferenz ist mit regelmäßig über zehn Millionen Zuhörern die populärste Radiosendung des Landes und Wolfgang Reichmann ist am Mikro mittendrin und live dabei. „Wolfi“, wie er von Freunden und Kollegen liebevoll genannt wird, gilt als senderprägende Stimme und Sportbotschafter des Fränkischen in der ganzen Republik. Mit 80.000 Zuschauern im Rücken zaubert er den Millionen an den Rundfunkgeräten das Spiel in die Ohren und vor die Augen, nur mit Worten, aber voller Leidenschaft. Wenn er entsetzt „Achtung!“ ruft, dann zittern die Fans um die Hintermannschaft ihres Vereins und spüren förmlich die nächste Angriffswelle des Gegners auf ihr Tor zurollen. Die Livereportagen sind Kunst und zugleich harte Arbeit, erfordern Emotionen ebenso wie einen kühlen Kopf und bergen Suchtpotential, für ihn als den dienstältesten aktiven Rundfunksportreporter Deutschlands nicht weniger als für seine begeisterten Zuhörer. So lange man ihn lässt, will und kann er deshalb damit auch nicht aufhören.

Die erste Begegnung mit der Sportreportage hatte Wolfgang Reichmann bereits als Sechsjähriger 1954 auf dem Bamberger Maxplatz. Dort lauschte er in einer riesigen Menschenmenge dem „Wunder von Bern“, das aus an Holzmasten aufgehängten Lautsprechern übertragen wurde. Seinen Stofftieren schilderte der Bub die neuesten Spielergebnisse, später rechnete er für das Bamberger Volksblatt per Hand und Kopf die Tabellen aus. Sportreporter wollte er werden, das stand früh fest. Aber erst einmal sollte er gemäß dem Rat seiner besorgten Familie einen anständigen Beruf erlernen. Dies brachte ihn in eine Laufbahn als Hauptschullehrer, mit der er sein Brot und alles Weitere zum Leben verdiente, auch wenn er den üblichen Klischees des Lehrerberufs so überhaupt nicht entsprach. Zu seiner eigenen Verwunderung erfüllte er die Prognose eines seiner Lehrer: „Die Schüler von der letzten Bank werden oft die besten Pädagogen.“ Sein sonniges Gemüt und seine Sportlichkeit bewahrten ihn davor, im schulischen Alltagstrott zu versinken.

Wolfgang Reichmanns eigene Sportlerkarriere wird angesichts seiner erfolgreichen Radiotätigkeit manchmal übersehen – völlig zu Unrecht! Er gehört zu den Bamberger Basketball-Idolen der Siebziger und führte die legendäre Aufstiegsmannschaft des 1. FC 01 als Kapitän in die Bundesliga – die Geburtsstunde der Basketball-Hochburg Bamberg! Von Basketball und Bamberg schwärmte schon damals ganz Deutschland. Die alten Bamberger Basketballfans haben es bis heute nicht vergessen, wie er mit seinen Schnellangriffen von links die Zuschauer in der Kennedyhalle begeisterte. Mit seiner Wendigkeit lehrte „Lefty“, wie er genannt wurde, den gegnerischen „Zwei-Meter-Latten“ trotz seiner nur 1,86 das Fürchten und versenkte die Bälle von der linken Ecke aus gleich reihenweise im Korb. Er brachte es auf rund 500 Bundesligaspiele und war sogar der erste oberfränkische Basketball-Nationalspieler. Für manchen ist in der Erinnerung diese Zeit am schönsten gewesen, trotz der mittlerweile erreichten Großerfolge der Brose Baskets. Seine sportliche Vielseitigkeit bewies Wolfgang Reichmann aber auch im Feldhandball, später im Squash und noch immer im Tennis, wo er erst kürzlich Bayerischer Mannschaftsmeister wurde.

Zum Bayerischen Rundfunk kam er mit einer Studioreportage über die Bamberger Basketballer. Später dann das Live-Geschäft – er berichtete von über 50 Sportarten, darunter Quotenbringer wie Pferderennen, Motocross oder Schach. Sein erstes kommentiertes Fußballspiel war das oberfränkisch-oberpfälzerische Derby zwischen Bayreuth und Weiden in der Bayernliga, ziemlich misslungen, wie er meint. So schlecht kann es dann aber doch nicht gewesen sein, schaffte er doch gleichzeitig mit dem Club aus Nürnberg rechtzeitig zur Saison 85/86 den Aufstieg in die Fußball-Bundesliga – mit dem feinen Unterschied, dass er sich dort seitdem ununterbrochen gehalten hat. Es gehört wohl zum widersprüchlichen Wesen des Franken Wolfgang Reichmann, dass seine Lieblingsmannschaft nicht etwa die Kleeblätter aus Fürth oder die Clubberer aus Nürnberg sind, sondern schon immer die Borussen aus Dortmund – und das lange bevor Klopp, Lewandowski und Co. am Thron der Roten aus München zu rütteln gewagt haben.

Die Begegnung mit dem „Gewürfelten“ Wilhelm Wolpert aus Haßfurt hat eine völlig neue Leidenschaft in ihm geweckt. Mit ihm und anderen Autoren geht er regelmäßig auf Mundartrallye, eine Wirtshaustour durch verschiedene Lokale mit heiteren Geschichten und Betrachtungen des fränkischen Alltagslebens. Er, der Woche für Woche im ganz großen Theater der Fußball-Bundesliga mitmischt, ist sich nicht zu schade, an solchen Abenden auf einer Kleinkunstbühne vor nur 30 oder 40 Zuhörern aufzutreten. Ganz im Gegenteil, er genießt es sogar! Hier ist alles noch echt, ursprünglich und unverfälscht. Wenn er den fränkischen Zungenschlag analysiert und die Widersprüche in der Sprache aufdeckt, bleibt kein Auge trocken. Voller Selbstironie und mit einer gehörigen Portion Mutterwitz hat er unglaublichen Spaß daran, anderen Menschen Freude zu bereiten und lachende Leute um sich zu haben. Genug fällt noch ab für sein eigenes Kabarett und für die Bütt. Die Liveauftritte des „Zwiebeltreters“ beim TSV-Fasching in Breitengüßbach und bei der Concordia in Strullendorf genießen längst Kultstatus. Meist hat er den letzten Auftritt, so dass er auch nach einem Auswärtsspiel in der Ferne noch rechtzeitig zu seinem Publikum einfliegen kann. Fliegende Wechsel machen ihm nichts aus, er braucht den Stress. Auf viel Vorbereitung kann er verzichten, denn die Spontanität ist ihm durch die Rundfunkreportagen in Fleisch und Blut übergegangen, wo es oft genug gilt, auf Zuruf zu reagieren und wendig zu sein über alle sorgfältig vorgeplanten Konzepte hinaus. Außerdem pflegt er seine Vortragskünste bei Weihnachtsfeiern, in Altenheimen, bei Preisverleihungen und bei karitativen Veranstaltungen für die Tierhilfe Franken oder für die „Helfer vor Ort“.

Den Stoff für seine Auftritte findet Wolfgang Reichmann quasi vor der eigenen Haustür auf den Straßen und Plätzen seiner Stadt. Die wenige Freizeit nutzte er schon immer lieber für Erkundungen der fränkischen Seele als für Mittagsschlaf und Studienreisen. „Sein Stadion ist die Stadt“ überschrieb Wolfgang Kreiner seine Hommage im Fränkischen Sonntag anlässlich des 65. Geburtstags seines Schwagers im letzten Jahr und traf damit den Nagel ziemlich auf den Kopf. Leicht vornüber gebeugt streift er durch Bamberg, da ein Handküsschen, hier ein Bussi, dort ein Hallo. Dann bezieht er seinen Beobachtungsposten, vor dem Bamberger Gabelmann oder im Café am Dom zum Beispiel. Das echte Leben schreibt einfach die besten Geschichten – auch in Bamberg – und manch komische Begegnung hat es schon bis auf Wolfgang Reichmanns Bühne geschafft. Er ist der letzte Stadt-Spaziergänger, gerne gesehen, überall wo er auftaucht, ein echtes Bamberger Urgestein.

Gelegentlich sieht man ihn auch beim Schafkopfen in einer der urigen Bamberger Lokalitäten. Als gewürfelter Franke gibt er gerne Kontra – mit der Folge, dass er am Ende eines ausgedehnten Kartabends oft entweder der größte Gewinner oder der größte Verlierer ist. Nicht nur beim Kartenspiel ist er ein Grenzgänger. Mag sein, dass sein widersprüchliches Wesen von seiner Herkunft rührt. Er hat sächsische Eltern, da hat sich vielleicht einiges vermischt. Ob er auch dem Sächsischen Sauerbraten zugetan ist, das weiß ich nicht. Aber dass er ein passionierter Brotzeiter ist, ja das tägliche Bauernbrot braucht wie die Luft zum Atmen, das wurde mir zugetragen. Und als bekennender Liebhaber des fränkischen Gänsebratens ist er bei den „Gewürfelten“ sowieso gerade richtig.

Wolfgang Reichmann ist am Allerheiligentag 1947 geboren. Ob es zum Heiligen reicht, wird sich zeigen. Die sich aufdrängende Liedzeile von Udo Jürgens von den 66 Jahren, mit denen angeblich das Leben anfängt, spare ich mir. Bei Wolfgang Reichmann fängt das Leben nicht an, sondern er steht mittendrin – als wendiger, witziger und widersprüchlicher Franke! Heute heißt es herunter vom Reporterplatz und hinauf auf das Siegertreppchen der „Gewürfelten“! Meinen herzlichen Glückwunsch und alles Gute!

WILHELM WENNING
Regierungspräsident von Oberfranken