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Heinrich Bauer – Veitshöchheim (Unterfranken)

Auszeichnung: 2010 – Bad Windsheim

Laudatio

Der Frankenwürfel 2010 für Unterfranken geht an den »Heinrich vom Stehausschank«, an Heinrich Bauer, wohnhaft in Veitshöchheim. 40 Jahre arbeitete er im Stehausschank des Weinguts Bürgerspital zum Heiligen Geist in Würzburg, im Sommer ging er mit 63 Jahren in den Ruhestand.

Im dreigeschossigen Haus des Bürgerspitals an der Würzburger Theaterstraße, gleich unterhalb des Glockenspiels am Eck, dort wo »Spitalschänke« an der Wand geschrieben steht unterhalb der Arkaden, da geht’s hinein.

Der Raum ist kurios, in dem Heinrich Bauer vier Jahrzehnte der Chef war. 24 Quadratmeter im Rechteck ist das Zimmer, »Hockerle« nennen die Würzburger den Stehausschank. Abgeleitet von den Holzbänken, die regelrecht aus den Wänden herauswachsen. Immer ein Zecherpaar kann nebeneinander sitzen, dann kommt ein kleines Tischchen aus der Wand, zum Abstellen von Schoppen und Ellenbogen. In der Mitte – ein Stehtisch mit Platz für zehn Leute. Wer hier reden will, findet immer jemanden, der zuhört. Da steht dann der staunende Zufallsbesucher neben dem eher skurrilen Stammpublikum, das zum Spitalschoppen auch sein Essen mitbringen darf. Oder um Heinrich Bauer zu zitieren: Die haben einen LKW dabei oder BMW, also »Leberkäsweck« oder »Brot mit Wurst«. Und dazwischen Touristen aus allen Ländern. Deutsche von der Waterkant bis zu den Alpen, Japaner und Amerikaner, Europäer quer durch den Kontinent. Ein Völkergemisch beim Weinkauf, dirigiert von Heinrich Bauer vom Schankfenster aus. Stets trägt er die weiß-blau längsgestreifte Küferbluse und sein hageres Gesicht ziert ein Bart, sein zweites Markenzeichen neben der Küferbluse.

Heinrich Bauer ist geboren und aufgewachsen im Weinort Thüngersheim. Bei »Geiger & Söhne« lernte er Weinkaufmann, ehe er dann nach Würzburg kam und im Stehausschank des Bürgerspitals zum Heiligen Geist seine Lebensstellung fand. Dabei hatte er als Kind einen ganz anderen Traumberuf – und davon konnte ihn selbst ein bayerischer Minister nicht abbringen. Es war bei der Einweihung der Zuckerfabrik in Zeil am Main. Da haben ihn die Thüngersheimer Bauern mitgenommen. Der damalige bayerische Landwirtschaftsminister Alois Hundhammer sah den fränkischen Knaben und meinte zu ihm: »Du wirst auch mal ein Zuckerrübenbauer«. Das passte dem kleinen Heinrich nun überhaupt nicht und er konterte dem Gast aus München: »Nä, i werd mal Papst!« Zum Papst habe es dann doch nicht gereicht, sagt der Heinrich Bauer rückblickend, »aber ich bin beim Heiligen Geist gelandet und da muss der Papst erst mal hinkommen!«

Sein trockener Humor passt zum trockenen Frankenwein. Immerhin ist das Bürgerspital zum Heiligen Geist die Geburtsstätte des Bocksbeutels. 1726 ließ der Würzburger Stadtrat den einheimischen Wein zum besseren Schutz zum ersten Mal in die bauchigen Flaschen abfüllen. Unser Neugewürfelter war also städtischer Bediensteter, denn das Bürgerspital ist eine Stiftung, verwaltet von der Stadt Würzburg, mit angeschlossenen und mit Weinerlösen finanzierten Einrichtungen der Seniorenbetreuung. Oder wie es ein Würzburger Oberbürgermeister einmal ausdrückte: »Hier ist jeder Schoppen Bürgerspitäler eine soziale Wohltat.«

Hierhin verschlug es also den Winzersohn, mit dem Wein ist er aufgewachsen, mit dem Charakter des Weins kennt er sich aus wie mit dem Charakter seiner Leut’ aus Nah und Fern, denen er die Schoppen kredenzt. So doziert er über den Silvaner. Originalton Bauer: »Ein Silvaner sagt nicht, ich bin ein Silvaner und du das Essen. Ein Silvaner hält sich im Hintergrund, als stiller Begleiter der Speise. Ganz anders der Riesling. Der sagt, ich bin ein Riesling und dann erschlägt er das Essen.«

An der Wand im Hockerle ist ein großes Gemälde. Die Würzburger Malerin Renate Jung hat den »Heinrich vom Stehausschank« schon vor vielen Jahren hier verewigt. Gütig mit wallendem Bart und Schlapphut, in der rechten Hand eine Kerze, mit der linken serviert er gerade einer durstigen Seele ein Schoppenglas. Und so mancher Tourist blickt erst auf´s Original und dann auf die Wand und ist sich gleich gewiss, dass hier ein prominenter Ausschenker zu Werke geht.

Kein Wunder, dass ein japanischer Besucher in Heinrich Bauer den Chef vermutete. Wein ließ sich Choshiro Kataoka nach Sapporo schicken und schrieb dann am 6. April 1991 eine Postkarte an Heinrich Bauer mit der Anrede »Lieber Heiliger Geist«. Und dann bestätigte der Japaner die Anlieferung des Weins mit dem wunderschön in deutsch geschriebenen Satz: »Ich bin erstaunt sein, dass die Weine so schnell angekunft«.

Heinrich Bauer hat zwar Volkshochschulkurse in japanisch und englisch belegt, aber er ist so ehrlich und betont: »Die einzige Fremdsprache die ich kann, ist hochdeutsch.« Und ganz im Gegenteil: Er versucht Integration ins fränkische, indem er seinen Gästen immer wieder das verkürzende Element der fränkischen Sprache vermittelt. »Ich habe ein Ei übrig« lässt er nachsprechen im heimatlichen »Sprech«: »I ho a ä ü!«

Hier in der Schänke sind sie alle gleich. Ob Professor oder Rentner, Hausfrau, Banker oder Stadtarbeiter. Und dazwischen auch Prominente wie Gert Fröbe, Peter Alexander, Elmar Wepper oder Gotthilf Fischer. Ihnen allen hat der »Heinrich vom Stehausschank« Bocksbeutel verkauft und Schoppen eingeschenkt. Mit strengem Blick für Ordnung gesorgt, wenn mal einer über den Weindurst getrunken hat oder wie Heinrich Bauer sagt: »Wer herumplärrt und zu viel säuft, der ist hier nicht willkommen.« Und das sagte er dem Straßenarbeiter genauso wie dem Herrn Professor.

Und das ist jetzt seit Sommer alles vorbei. Der Heinrich hat seinen Stehausschank verlassen. Vor allem die Stammgäste vermissen ihn. Er gehörte Jahrzehnte eben dazu wie die hölzernen Sitze im »Hockerle«. Als »Fränkisch, kantig und sensibel« verabschiedete ihn die Würzburger Presse Anfang September 2010. Die Küferbluse hat er ausgezogen und wenn er so in zivil in seinem Garten in Veitshöchheim steht, dann erkennt ihn fast niemand. Jetzt ist er in der Obhut seiner Frau Gunda und seiner Tochter Christiana. Die Enkelinnen Mona und Lara – 6 und eineinhalb Jahre alt – halten den Opa Heinrich auf Trab. Oder wie er das ausdrückt: »Die mache mich manchmal fertig, wenn’s sei muss!« Seine Ehefrau Kunigunde, genannt Gunda, hat er übrigens kennengelernt, als diese 16 Jahre jung war. Kennengelernt, natürlich im »Hockerle«. Ihrer Mutter hat er regelmäßig die »Schöppli« serviert und der Gunda manchmal »e Achtele«. Das wäre eine für´s Leben, hat sich der Heinrich gedacht, und seit 1975 ist er glücklich verheiratet.

Dass er heute den Frankenwürfel bekommt, das hat er verdient, gleichsam als Krönung eines ungewöhnlichen Lebens, als der »Heinrich vom Stehausschank« im Bürgerspital zum Heiligen Geist, Ecke Theaterstraße/Semmelstraße, gleich unterhalb des Glockenspiels. »Sich wenden, sich drehen, im Leben bestehen, so ist der gewürfelte Franke zu sehen.« – so steht es auf dem Frankenwürfel – und so war auch das Berufsleben des Heinrich Bauer.

DR. PAUL BEINHOFER
Regierungspräsident von Unterfranken