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Willy Bittner – Allersberg (Mittelfranken)

Auszeichnung: 2003 – Gottsmannsgrün

Laudatio

11.11., 11 Uhr 33, es ist Zeit, die neugewürfelten Franken zu präsentieren. Das Wort haben die drei fränkischen Regierungspräsidenten. Es ist an ihnen, die neuen Preisträger zu würdigen und sie den versammelten Altgewürfelten und der staunenden öffentlichkeit vorzustellen. Das Gottsmannsgrüner Protokoll will es so, dass Mittelfranken dabei an erster Stelle steht (wo auch sonst!?) und deshalb darf ich Ihnen jetzt den mittelfränkischen Neugewürfelten Willy Bittner vorstellen. Wobei es fast ein mittleres Wunder ist, dass Willy Bittner sich heute die Zeit nehmen konnte, nach Gottsmannsgrün zu kommen. Denn am 11.11., pünktlich um 11 Uhr 11 beginnt für die närrischen Geister und damit allen voran für Willy Bittner die schönste aller Jahreszeiten, nämlich die fünfte Jahreszeit. Und für den Präsidenten eines Faschingskomitees ist diese Stunde, ist diese Minute der Augenblick der Wahrheit schlechthin: Wortreich und witzig eröffnet er normalerweise zu dieser Stunde die neue Faschingssession. Obwohl der in Franken als »Mister Karneval« bekannte und beliebte Willy Bittner seit 1968 Präsident des Allersberger Faschingskomitees ist und der 11.11., 11 Uhr 11 damit der Fixpunkt in seinem Jahreslauf darstellt, war er spontan, wenn auch schweren Herzens bereit, heute auf seinen kalendarischen Höhepunkt in Allersberg zu verzichten. Soviel Wendigkeit war ihm als Faschingspräsident just am 11.11. bisher noch nicht abverlangt worden. Aber: der Frankenwürfel machte es möglich.

Willy Bittner, 70 Jahre jung, gründete 1958 einen Baumschulfachbetrieb, den er zu einem Pflanzenzentrum fortentwickelte und auch heute noch betreibt. Er engagierte sich in vielfältiger Weise für unser Gemeinwesen: als Mitglied des Marktgemeinderates Allersberg, als Schöffe beim Amtsgericht Schwabach, als langjähriger Vorsitzender des Kultur- und Verschönerungsvereins Allersberg. In dieser Eigenschaft setzte er sich u.a. für einen Allersberger Weihnachtsmarkt und auch für eine zentrale Zimmervermittlung in Allersberg ein. Ferner leistete Willy Bittner als stellvertretendes Mitglied des Naturschutzbeirates des Landkreises Roth 20 Jahre lang wertvolle Dienste für den Natur- und Landschaftsschutz im Landkreis. Auch in verschiedenen berufsständischen Organisationen engagiert er sich seit über 30 Jahren.

Willy Bittner ist ein fränkisches Original. Er bestätigt seine ausgeprägte fränkische Wesensart auch durch die strikte Ablehnung von Fremdwörtern, also von nicht fränkischen Ausdrücken. In seinen Briefen kommt niemals ein Fremdwort vor, wenn es ein deutsches, besser noch fränkisches, gibt. »Dessous« sind und bleiben für ihn, den Weit- und Weltgereisten, schlicht und einfach die Unterhosen, wo kämen wir denn da hin!

Die Verbundenheit mit seiner fränkischen Heimat dokumentiert Hobbyfotograf Willy Bittner (»unter 10 bis 15 Filmen pro Ausflug macht er es nicht«) auch bei Auslandsaufenthalten: Selbst in Südafrika oder in Asien sucht er stundenlang nach einem Lokal, das fränkisches Essen anbietet. Wie oft er deswegen im Ausland hungrig geblieben ist, ist allerdings nicht bekannt. Die ganze Widersprüchlichkeit seines fränkischen Wesens zeigt sich andererseits darin, dass er als Franke nicht unbedingt ein Fan des Frankenweins ist. Oft verschmäht er die besten Lagen zu Gunsten eines – hoffentlich fränkischen – Bieres. Aber es gibt eben auch die Bierfranken. Allenfalls der Charme einer fränkischen Weinkönigin könnte ihn vielleicht bekehren.

Willy Bittner »lebt« die 5. Jahreszeit wie kein Zweiter. Aus »Spaß an der Freud« nimmt er mit einer Faschings-Besessenheit ohnegleichen das ganze Jahr über Organisations- und Terminstress auf sich. Wenn einmal im Faschingskomitee etwas nicht so läuft, wie er es sich vorstellt, dann stellt er schon mal taktisch zur rechten Zeit die Vertrauensfrage (wie unser Bundeskanzler auch), obwohl er weiß, dass er ohne seinen Fasching gar nicht leben könnte. Seit 1976 veranstaltet er, der sich als Allersberger Faschingspräsident dem fränkischen Faschings- Landadel zugehörig betrachtet, ein karnevalistisches Sommerfest mit den Karnevalsvereinigungen aus dem Landkreis und der Region. Diese Grillparty in seiner Baumschule in Allersberg hat längst »Kultcharakter«. Um im Fasching ja nichts zu versäumen, nimmt er in der närrischen Jahreszeit am Abend locker drei Veranstaltungen an. Dass er vor lauter Engagement dann seinen Hochzeitstag vergisst, bei dieser Faschingsbegeisterung kann das dann schon mal passieren. Bei Ordenskommers- und Prunksitzungen des Allersberger Faschingskomitees ist es das Markenzeichen des Moderators Willy Bittner, dass er jeden bis hinauf zu einer leibhaftigen Ministerin mit einem humorvollen »Scheisserla« auf die Bühne ruft. Er ist deswegen auch als »Scheisserla-Präsident« bekannt.

Unangefochtener Höhepunkt ist seit 1968 der von Willy Bittner organisierte Allersberger Faschingsumzug mit mehr als 100 Fahrzeugen und Gruppen und mehr als 50.000 Besuchern. Ein Verdienst Willy Bittners ist es auch, dass die in den Wirren des 2. Weltkrieges verlorengegangenen Holzmasken der Allersberger Flecklashexen, die schon im 19. Jahrhundert ihr »Unwesen« trieben, durch einen Allersberger Hobbyschnitzer neu hergestellt wurden. Die Allersberger Flecklashexen sind inzwischen weit über den Bereich der Marktgemeinde hinaus in ganz Franken bekannt geworden – nicht zuletzt gehören sie zum Inventar des Frankenfaschings in Veitshöchheim.

Derartige Erfolge stellen sich natürlich nur bei dem ein, der beharrlich seinen Weg verfolgt und sich durch nichts und niemanden von seinen Aufgaben abhalten lässt, was folgende Begebenheit beweist: Als Willy Bittner vor Jahren einmal bei Arbeiten in seinem gärtnerischen Betrieb durch ein Glasdach fiel und sich dabei Prellungen und Hautabschürfungen zuzog, legte er sich mit diesen Verletzungen nicht ins Bett, wie es ein »normaler« Mensch getan hätte. Denn am Abend war Prunksitzung, wo er als Moderator gefordert war. Also verkleidete er sich an diesem Abend als Schwerverletzter und kam in Begleitung einer Krankenschwester zur Prunksitzung und spulte als echter »Kranker« das Programm wie immer perfekt ab, ohne dass jemand etwas merkte. Jetzt nach 35 Jahren denkt »Obernarr« Bittner manchmal daran, das Faschingszepter an einen jüngeren Regenten abzugeben. Auf die Frage, warum er dies denn tun wolle, antwortet er: »Sonst sagen die Leut, jetzt ist der alte Depp noch immer da!«

So ist er eben, der Willy Bittner, witzig, wendig, widersprüchlich, beweglich und standfest. Zugleich ist er der Urtyp des einfallsreichen, aufgeweckten und menschenzugewandten Franken, kurzum: Ein »Gewürfelter«.

KARL INHOFER
Regierungspräsident von Mittelfranken