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Wilhelm Wolpert – Haßfurt (Unterfranken)

Auszeichnung: 2007 – Bad Windsheim

Laudatio

Mit großem Vergnügen darf ich Ihnen den unterfränkischen Preisträger für den Frankenwürfel 2007 vorstellen: Wilhelm Wolpert aus Haßfurt. Auch wenn einige von Ihnen vielleicht noch nicht von ihm gehört haben mögen – gesehen haben ihn sicher alle: im Fernsehen als Mitglied des »Hasenterzetts« bei der »Fastnacht in Franken«.

Wilhelm Wolpert ist bei sich daheim in den Haßbergen sozusagen der literarische Platzhirsch, der mühelos fast jeden Saal mit seinen Lesungen füllt. Er hat als Botschafter fränkischen Geistes unsere Kultur auch schon ins ferne Ausland getragen – bis hin nach Kiel. Eigentlich aber liegt ihm das Scheinwerferlicht für die große Bühne eines Comedy-Stars überhaupt nicht. Er liebt die Verwurzelung in seiner Heimat, den direkten Kontakt zu seinem Publikum. Seine Sache ist nicht das große Mundart-Melodram in Romanform, oder wie er jetzt groß in Mode ist: der Heimatkrimi. Er verfasst harmlos wirkende »Gschichtli« und »Gdichtli«, die es aber in sich haben.

Er schätzt die kleinen literarischen Formen: Anekdoten, Reime, Kurzgeschichten und Einakter. Hier aber hat er es zu wahrer Meisterschaft gebracht. Fast möchte man meinen, Wilhelm Wolpert habe sich Hans Sachs als Vorbild genommen. Die abgewandelte Aussage: »Ich bin der Wilhelm und ein Ruh-Ständler und Poet dazu!« würde sehr gut zu seiner bescheidenen persönlichen Art passen. Er ist allerdings weniger derb als Sachs. Er stichelt lieber mit dem Florett, als dass er mit dem Säbel zuschlägt, und während seiner Sticheleien scheint gleichzeitig sehr viel Sympathie für seine Figuren durch. Aber seine beliebtesten Sujets sind die gleichen wie bei Hans Sachs: Die Doppelmoral in uns Menschen, die Bigotterie und immer wieder der ganz alltägliche Geschlechterkampf zwischen Mann und Frau. Mit Hans Sachs verbindet Wilhelm Wolpert auch, dass er mit dem fränkischen Faschingstreiben bekannt geworden ist.

Im Grunde war er schon immer ein echter Gewürfelter. Ein Würfel hat nach Adam Riese sechs Seiten, mal kommt die eine nach oben, mal die andere. Und so viele Seiten hat der Wolperts Wilhelm auch – mindestens so viele.

Da ist zum ersten die offenkundige, die nach oben zeigende, die Künstlerbiografie. Wilhelm Wolpert wurde in Oberfranken geboren, in Bamberg. Die Eltern überschritten aber bald die – freilich nicht wirklich trennende – Grenze und siedelten sich mit ihrem Textilgeschäft in der kleinen ostunterfränkischen Kreisstadt Haßfurt an. Hier wuchs der kleine Wilhelm auf, machte seinen Realschulabschluss und wurde Textilkaufmann. Dann sattelte er irgendwann um und wurde selbständiger Handelsvertreter für Textilfirmen. Hinter vorgehaltener Hand gibt unser Mundart-Autor heute zu, dass diese Vertretertätigkeit die Voraussetzung war für das Durchbrechen seines literarischen Talentes: »Auf den langen einsamen Fahrten durch ganz Franken hatte ich all die Ideen für meine Gschichtli und Liedli. Zurück dahemm musst ich sie dann nur noch schnell aufschreim.«

Dann haben wir im typisch fränkischen Charakter des heute Geehrten die Würfelseite des gut katholischen Schäfleins. Allerdings eines Schäfleins, das auch heute noch mit 70 Jahren die lustigsten Sprünge macht. Dem Vernehmen nach macht der Regens des Würzburger Priesterseminars die Lektüre von Wolperts »Liebes Christkindla«, Wolperts »Herrgott, dir wenn’s nachging« und seiner Anthologie »Schwarza Fränkischa Schäfli« seinen Priesteramtskandidaten zur Pflicht. Schließlich sollen die angehenden Hochwürden ja die innere Befindlichkeit ihrer fränkischen Herden genau kennen lernen, bevor sie auf sie losgelassen werden. über ihre eigene künftige Seelenlage und die Anfechtungen, die in Ausübung ihres priesterlichen Dienstes noch auf sie zukommen werden, erfahren die Kandidaten dabei auch eine Menge. Aber das nur nebenbei.

Dann gibt es bei dem neuen Gewürfelten auch die Würfelseite des typischen fränkischen Vereinsmeiers. Wolpert war Zeit seines Lebens ein aktives Mitglied in seinem geliebten Turnverein Haßfurt. Wie er beteuert, hält ihn auch heute noch der regelmäßige Sport so fit, dass er mit seinem stressigen Autorendasein fertig wird. Und die anschließende Einkehr mit den »Turnbrüdern « dient dem seelischen Gleichgewicht.

Aus diesen beiden Würfelseiten folgt nun notwendigerweise die Vierte, die des Faschingsenthusiasten. Jedenfalls gibt es diese echt fränkische Kausalität in Haßfurt. Denn dort nährt sich das Fastnachtstreiben der örtlichen Gesellschaft – der »11 weisen Hasen « – aus zwei tief reichenden Wurzeln: der örtlichen Pfarrei und dem Turnverein. Wolpert aber war einerseits aktiver TV’er und sang andererseits schon als junger Bursch im Kirchenchor – was ihn schon als jungen Kerl in den Kirchenchor gezogen hat, darüber will ich hier keine Vermutungen anstellen.

So wundert es nicht, dass unser unterfränkischer Gewürfelter noch nicht mal 20 war, als er im Duo und später im Trio regelmäßig in die Bütt stieg und bei den Haßfurter Büttensitzungen den Saal zum Beben brachte. Und so war das »Hasenterzett« geboren. Wilhelm Wolperts Lieder und Gedichte waren so erfolgreich, dass er auch für viele seiner Mitakteure texten musste und sich als regelrechter Pointenschreiber einen Namen machte.

Folgt die Seite fünf des Würfelträgers: Wilhelm Wolpert, der Literat. In seinen mittlerweile 12 Büchern hat Wolpert es besonders im Genre der Kurzgeschichte zur wahren Meisterschaft gebracht. Mit einem feinen Gespür für die ganz alltägliche Situationskomik im Benehmen seiner Zeitgenossen beobachtet er seine Umwelt – und sich selbst.

Ein literarischer Kniff lässt seine Helden so hautnah an uns herankommen, wie sonst selten in so kurzen Texten: Wilhelm Wolpert verwendet immer wieder den inneren Monolog. Er ist sozusagen der James Joyce von Haßfurt.

Ebenso beherrscht Wolpert den plötzlichen Perspektivwechsel, ganz besonders vom fränkischen Erdenleben zum Himmel. Seine in die Handlung eingestreuten Wortwechsel zwischen dem Herrgott und dem hl. Josef sind einfach goldig. Wobei der Josef immer die orthodoxe Lehre der Mutter Kirche vertritt, während der Herrgott sehr viel Verständnis für seine immer wieder in Versuchung geführten fränkischen »Schäfli« hat. Ganz wie bei Goethes »Prolog im Himmel «; nur weniger philosophisch und mehr lebenspraktisch.

Ich will jetzt nicht Wilhelm Wolperts Werke in allen Windungen und Verästelungen würdigen. Nur so viel: Alle seine Gedichte und Geschichten sind zum Schmunzeln. Sie sind immer unterhaltsam und amüsant. Aber sie sind noch sehr viel mehr als literarische Gebrauchskunst für’s Nachtkästchen. Sie bringen den Leser auch zum Nachdenken, zum Beispiel über die vielfältigen Facetten von Sein und Schein in unserer Gesellschaft, von Stolz und Vorurteil, vom Jahrmarkt der Eitelkeiten.

Oft stecken hinter unserem Handeln ja ganz andere Motive, viel weniger hochmoralische oder altruistische, als wir andere glauben machen oder sogar uns selber eingestehen möchten. Oft ist unsere Haltung viel stärker von Vorurteilen oder Missgunst gefärbt, von Begehrlichkeiten geprägt, als uns selber klar ist. Wilhelm Wolpert stößt uns mit der Nase auf unsere kleinen Tricks und Schwindeleien, unsere Engstirnigkeit und Widersprüchlichkeit. Aber er tut das nie mit erhobenem Zeigefinger, sozusagen als moralisches über-Ich. Er nimmt sich selber bei seinen Spöttereien nie aus und hält uns als selbst Betroffener nur schmunzelnd und mit einem verschmitzten Augenzwinkern den Spiegel vor.

Und das bringt mich zu der letzten Würfelseite dieses echten Franken Wilhelm Wolpert, zu seiner tiefen Menschlichkeit. Er war schon immer hilfsbereit und setzte sich engagiert für gute Zwecke ein. Vor gut zehn Jahren gründete er ganz unter dem Eindruck der katastrophalen Zustände in einigen Einrichtungen und Schulen in osteuropäischen Ländern einen Verein mit dem Namen »Haßfurt hilft«. Für diese lokale Initiative sucht Wolpert bei seinen Reisen konkrete Projekte in Litauen, in der Ukraine und in Albanien aus. Dort hilft der Verein nun bei der Anschaffung von allem, woran es Not tut: sei es ein Fahrzeug, ein Computer oder Lernmaterial.

Und diese sechste und letzte Würfelseite macht unseren unterfränkischen Preisträger erst »rund«. Er ist halt mehr als ein Spaßmacher oder »Comedian«, wie man heute neudeutsch sagt, mehr als ein mundartlicher Satiriker, Moralist, Philosoph, Spötter und Glossist. Wilhelm Wolpert ist ein echter Franke und deshalb stets für eine überraschung gut.

Ein Franke kann sehr gut Lokalpatriotismus mit Weltoffenheit verbinden, den Wunsch zu gefallen mit Zivilcourage, Geiz mit Großherzigkeit, feste Prinzipien mit Pragmatismus, Grobheit mit natürlichem Charme und Liebenswürdigkeit.

All diese Widersprüche machen die Franken schließlich einmalig auf der Welt. Wer sie treffend charakterisieren kann wie Wilhelm Wolpert – und wer sie dazu auch noch selber verkörpert – der gehört zu den wahrhaft »Gewürfelten«.

Dr. PAUL BEINHOFER
Regierungspräsident von Unterfranken