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Jan Burdinski – Aufseß (Oberfranken)

Auszeichnung: 2011 – Neuses am Sand

Laudatio

Metamorphosen sind ein gängiges Thema in der Literatur und auch dem Theatermenschen nicht fremd. Jeder Schauspieler vollzieht, ob im Film oder auf der Bühne, seine zeitweilige Verwandlung, wenn er das Kostüm überstreift und ganz in seiner Rolle aufgeht.

Auch der Theatermann Jan Burdinski hat dieses Gefühl schon unzählige Male an sich und an anderen erlebt. Was hat er nicht schon alles gespielt und inszeniert! Von Don Quijote bis Eulenspiegel, von Wilhelm Busch bis Eichendorff hat er seine Wandlungsfähigkeit oft genug und eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Und doch ist die Verwandlung, die mit ihm geschieht, wenn diese Rede gehalten ist, von besonderer Natur. Schließlich wird er heute zum „gewürfelten Franken“ und tritt somit in einen exklusiven Kreis außergewöhnlicher Menschen ein, die mit ihrem einzigartigen Wesen Franken ein unverkennbares Gesicht geben.

Jan Burdinski hat immer genau verfolgt, wer den Frankenwürfel bekommt. Dass er aber einmal selbst den Würfel entgegennehmen würde, das erschien sogar ihm, einem Menschen voller Phantasie und Visionen, ob seiner nichtfränkischen Herkunft jenseits aller Vorstellungskraft.

Da haben Sie die Franken aber gründlich unterschätzt, Herr Burdinski! Sagt man den Franken vielleicht nach, auf alles Andersartige zunächst einmal einigermaßen reserviert zu reagieren, so fällt die Umarmung umso kräftiger und herzlicher aus, wenn man sich erst einmal lieb gewonnen hat. Deshalb finden sich unter den „Gewürfelten“ eine ganze Reihe von Franken mit Migrationshintergrund: Sachsen, Berliner und Westfalen zum Beispiel, ja sogar eine geborene österreicherin wurde schon gewürfelt. Selbst Hans Max von Aufseß, der geistige Vater des Frankenwürfels, dem man das Fränkische nun wirklich nicht absprechen mag, kam in Berchtesgaden und damit außerhalb der rot-weißen Farben zur Welt. Und da sollte, lieber Herr Burdinski, nicht auch noch Platz sein für einen württembergischen Oberschwaben mit ostpreußischen Wurzeln?

Wie wir von Hans Max von Aufseß gelernt haben, kommt es beim Franken gerade nicht auf die Herkunft an, sondern einzig und allein auf die prägenden Charaktereigenschaften: das Wendige, das Witzige und das Widersprüchliche. Diesen wollen wir bei Jan Burdinski noch ein wenig genauer nachspüren.

Er wurde 1951 im Moorheilbad Schussenried als drittes von fünf Pfarrerskindern geboren. Ebenso gut hätte er woanders zur Welt kommen können, wechselte der Vater doch alle paar Jahre die Pfarrstelle, so dass Jan das Wanderleben früh im Blut hatte. Auch die soziale Einstellung hat er vom Vater übernommen. Einen helfenden Beruf wollte er erlernen, wenngleich er schon als Kind und Jugendlicher eine starke Neigung zum Theater verspürte. So aber leistete er zunächst den Zivildienst in einem Heim für milieugeschädigte Kinder in Stuttgart und zum Studium der Medizin und Pädagogik ging es nach Marburg. Kinderarzt wollte er werden, Neurologe, und in seiner Doktorarbeit wollte er die Psychiatrie mit der Theatertherapie verbinden.

Die Theaterbühne hat ihn schon während des Studiums nicht mehr losgelassen und mehr Platz in seinem Leben beansprucht als zuvor geplant. Er gründete eine freie Theatergruppe und rief das Marburger Pantomimen-Festival ins Leben. Schließlich machte er sogar die Schauspielprüfung. Es kam, wie es kommen musste: schon bei den letzten medizinischen Examina träumte er eigentlich nur noch vom Theater, das praktische Jahr nach der theoretischen Arztprüfung trat er gar nicht mehr an. Er vollzog die radikale Wende und entschied sich ganz für die Bühne. Eine Lebensentscheidung, die er nach eigenem Bekunden nie bereut hat.

Nach Engagements als Schauspieler und Regisseur an verschiedenen Landesbühnen und Theatern kam er schließlich nach Bamberg, wo er am E.T.A. Hoffmann-Theater schauspielerte und an der Universität Theaterwissenschaft lehrte. War es Zufall oder eine glückliche Fügung des Schicksals, dass er dem Hollfelder Kunsterzieher und Bildhauer Wolfgang Pietschmann begegnete? Pietschmann jedenfalls infizierte Burdinski mit seiner kühnen Idee von einem wandernden Sommertheater in der Fränkischen Schweiz. Jan Burdinski ließ sich von diesem Plan zusehends begeistern. Und wer Burdinski kennt, der weiß: wenn der erst einmal von einer Sache begeistert ist, dann kommt er auch so schnell nicht wieder von ihr los.

So entstand also der Theatersommer Fränkische Schweiz, der sich später wegen seiner wachsenden regionalen Ausdehnung in Fränkischer Theatersommer umbenannte. Die Geburt war keine leichte. Was gab es zu planen und zu verwerfen, zu organisieren und zu kalkulieren, zu streiten und zu schlichten, bevor man sich 1994 nach Vorbild der mittelalterlichen Vagantenbühnen erstmals auf Wanderung durch die Fränkische Schweiz begeben konnte. Das mag ein „Aufgschau“ gewesen sein, wenn die bunte Gauklertruppe aus Hollfeld ihre Bühne in Dörfern wie Wiesentfels, Wonsees oder Sanspareil aufschlug, bepackt mit Koffern und Paletten, um Kunst aufs Land und Theater zu den Menschen zu bringen. Noch größer war dann das Erstaunen nach der Aufführung: über die Hingabe der Schauspieler, die Professionalität der Darbietung und die Qualität der aufgeführten Stücke. So etwas hatte man vorher in dieser Gegend abseits der großen Theaterhäuser noch nicht gehört und gesehen. Man belohnte das neue Angebot mit unerwartet gutem Besuch, das Volk stimmte mit den Füßen ab und ermutigte die Theatermacher zum Weitermachen.

Ob Europäische Komödie á la Molière, Musical oder Schauspiel, Chanson oder Kabarett, kleines Kammerspiel oder begeisternde Kinderstücke – der Theatersommer hat inzwischen eine unglaubliche Vielfalt entwickelt und ist in dieser Form einzigartig in ganz Deutschland. Jan Burdinski gerät wohl immer noch ins Staunen darüber, was er da in Gang gesetzt hat. Aus einem wagemutigen Experiment ist ein bedeutendes Kulturunternehmen geworden. Begann man im Premierenjahr 1994 mit rund 40 Veranstaltungen, was für eine neue Bühne auch nicht wenig ist, so waren es in der gerade abgelaufenen Saison über 220 Veranstaltungen an mehr als 70 Spielorten in ganz Oberfranken und sogar darüber hinaus. Verdienter Lohn für die Mühen war 2007 die Verleihung des Titels „Landesbühne Oberfranken“, was zum Leidwesen des Schatzmeisters allerdings mehr Reputation als Alimentation mit sich brachte.

Die idyllische Landschaft der Fränkischen Schweiz mit ihren romantischen Burgen und sagenumwobenen Ruinen bietet bis heute die ideale Kulisse für das fahrende Volk. Man spielt auf Burghöfen, städtischen Marktplätzen, in Höhlen und vor großartigen Felsformationen und überhaupt überall, wo die mobile Bühne und ein anspruchsvolles Publikum Platz finden – Wolken und Regen, Sturm und Gewitter bisweilen inbegriffen.

Der Fränkische Theatersommer steht und fällt mit Jan Burdinski. Offiziell ist er künstlerischer Leiter und Intendant, in Wirklichkeit aber ist er noch viel mehr: Motor und Impulsgeber, Organisator und Dominator, Schauspieler und Regisseur, wenn es sein muss auch noch Kulissenschieber und Kofferträger. Viele schlaflose Nächte hat er verbracht, vor allem in den Anfangsjahren. Der Theatersommer entpuppte sich als Abenteuer mit ungewissem Ausgang, die Möglichkeit des Scheiterns immer präsent. Manche Planung am Morgen war am Mittag schon obsolet, Improvisationskunst und Spontanität wurden oft genug zu seinem wichtigsten Handwerkszeug. Die Begeisterung seines Publikums trieb ihn weiter und half ihm beim Durchhalten.

Der Theatersommer erlebte auch winterliche Tage. Irrungen und Wirrungen, Ränkespiele und Intrigen fanden nicht nur auf der Bühne statt. Vorstände kamen und gingen, einige mit lautem Krach und Getöse. Jan Burdinski blieb. Wenn er sein Lebenswerk in Gefahr sah, wurde aus der sonst so ausgeglichenen, feinsinnigen Künstlernatur im Handumdrehen ein kompromissloser Streiter, der Konflikten und Widerspruch nicht aus dem Weg ging, wenn er sie für geboten hielt. „Wenn etwas zum Schreien ist, dann schrei ich!“ sagt er von sich selbst, und so wird in 18 Jahren Theatersommer manche Tür geknallt und mancher Tisch gewackelt haben. Heute, wo das Kind volljährig ist und die Pubertätskrise überwunden scheint, ist auch Jan Burdinski wieder ruhiger geworden. Die Strukturen stimmen, sein Team ist perfekt, er spürt Unterstützung landauf landab, auch wenn der Geldbeutel des Theatersommers immer noch ruhig ein wenig praller gefüllt sein dürfte.

Wenn Jan Burdinski zwischendurch seinen Schreibtisch im Hollfelder Theaterbüro verlässt, dann treffen wir ihn vielleicht beim Joggen im Aufseßtal, beim Kraxeln in der Fränkischen Schweiz oder beim Sirtaki, denn der Volkstanz, nicht nur der griechische, macht ihm große Freude. überhaupt ziehen ihn fremde Kulturen an, besonders Afrika mit seiner 3000 Jahre alten Musikgeschichte, den fröhlichen Tanzformen und der Offenheit der Menschen. Wenn er sich ein anderes Leben als das in Franken aussuchen müsste, dann am ehesten als Forscher oder Abenteurer auf dem schwarzen Kontinent.

Häufig finden wir Jan Burdinski aber auch als Alleinunterhalter vor einer großen Zuschauerschar am Bamberger Alten Kanal, in der Kulmbacher Kommunbräu, auf Burg Rabeneck oder an einer anderen fränkischen Lokalität. Er ist weithin bekannt als genialer Rezitator, als Meister des vorzüglichen Vortrags, als Bühnenkünstler par excellence, der die großen Literaturschaffenden vergangener Zeiten wieder lebendig werden lässt. Kurzweilig, voller Witz und Leben trägt er aus ihren Werken vor, gestenreich und authentisch, so dass sein Publikum Wilhelm Busch, Erich Kästner oder Joachim Ringelnatz höchstpersönlich vor sich glaubt. Besonders angetan hat es ihm das dichterische Werk des schon erwähnten Freiherrn Hans Max von Aufseß. Der erfasste die fränkische Seele am treffendsten. Als einer, der Franken und die Franken lieben gelernt hat, fühlt sich Jan Burdinski ihm besonders nah. So nah inzwischen, dass er sich sogar im Turm von Schloss Oberaufseß eingemietet hat, wo er die Ruhe genießt und die Aura des großen Frankendichters am Originalschauplatz atmet.

Herr Burdinski, Sie waren auch dem Frankenwürfel schon einmal ganz nah. 1997 trugen Sie auf der Giechburg eine wunderbare Lesung zu Ehren von Hans Max von Aufseß vor, als diesem posthum der Frankenwürfel verliehen wurde. Damals durften Sie den Würfel nur betrachten und beschnuppern, behalten durften Sie ihn nicht. Heute dürfen Sie ihn ganz fest in die Hand nehmen, drehen und wenden, einpacken und mit nach Hause nehmen. Die lebenslange Apanage in Form eines Gansessens an jedem 11. November gibt’s noch obendrauf, auch wenn die drei Regierungspräsidenten Sie hierzu gelegentlich in die entlegensten Winkel des Frankenlandes bestellen mögen. Aber mit dem Wandern und Reisen kennen Sie sich ja aus.

So darf ich Sie als diesjährigen Träger des Frankenwürfels aus Oberfranken in die Schar der „gewürfelten Franken“ aufnehmen und das geneigte Publikum bitten, Sie mit einem kräftigen Schlussapplaus, wie es einem Mann des Theaters gebührt, herzlich willkommen zu heißen.

WILHELM WENNING
Regierungspräsident von Oberfranken