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Herbert Scherer – Pegnitz (Oberfranken)

Auszeichnung: 2004 – Colmberg

Laudatio

Mit seiner Wendigkeit hat der neue oberfränkische Gewürfelte das Ordenskomitee der Regierung ganz ungewollt schon Wochen vor der heutigen Preisverleihung gehörig in Bedrängnis gebracht. Der Versuch, ihm die freudige Nachricht telefonisch zu übermitteln, scheiterte wochenlang daran, dass am anderen Ende der Leitung im Pegnitzer Ortsteil Neudorf keiner abheben wollte. Erst dem Geheimdienst der Stadt Pegnitz mit Bürgermeister Thümmler an der Spitze gelang es, die allmählich in Verzweiflung übergehende Sorge zu zerstreuen: Herbert Scherer war in das gar nicht so fränkische Finnland ausgereist, um den dort geborenen fünften Enkel zu feiern – zu unser aller Freude aber mit Rückfahrkarte, so dass er sich rechtzeitig wieder in der fränkischen Heimat einfinden konnte, um heute in den Stand der gewürfelten Franken erhoben zu werden.

Herbert Scherer – geboren im eiskalten Winter 1929 hat er sich nach dem Krieg als Dachdecker und Spinnereiarbeiter durchgeschlagen. Nach dem Studium und ersten pädagogischen Gehversuchen ist er ab 1965 für acht Jahre nach Lateinamerika verschwunden, aber über die Deutsche Welle immer mit dem Fränkischen verbunden geblieben.

Danach 20 Jahre Schulleiter am Pegnitzer Gymnasium und bis heute aus dem gesellschaftlichen Leben der Stadt Pegnitz nicht wegzudenken: als Festredner beim Flinderer- Anstich, als Stadtschreiber und inzwischen emeritierter Faschingsnarr und als Begründer der traditionellen Aschermittwoch- Heringsessen.

Braucht es mehr als Nachweis, dass es Herrn Scherer als Franken im Leben genug hin- und hergewürfelt hat?

Seine Vorfahren waren über Jahrhunderte hinweg im Hummelgau und im südlichen Frankenwald ansässig. Sie waren Bauern, Müller, Schmiede, Weber und Forstverwalter. In die Ferne zogen sie nur im Krieg in Uniform und mit finsteren Gedanken. Ansonsten waren sie bodenständig, sesshaft, fußkrank und heimatverbunden.

Es war zeitbedingt, dass Herbert Scherer aus diesem Muster ausgebrochen ist. Er hat sich zwei Auszeiten vom Fränkischen genommen: einmal neun Jahre im Altbayerischen zum Studieren und zum Berufsbeginn, dann nach fünfjährigem Intermezzo in Wunsiedel, dem bayerischen Sibirien, wie es hieß, für acht Jahre im tropischen Indianergebiet in Ekuador als Lehrer in Quito und als Direktor am Colegio Aleman Humboldt in Guayaquil. Das ist ja auch ein fränkischer Wesenszug: amoll wo neischmeckn.

Altbayern, in diesem Fall München, Ingolstadt und Starnberg, hat ihm ein starkes Bewusstsein für Identität vor allem im Historischen und Folkloristischen vermittelt, deshalb hat er auch bayerische Geschichte bei Spindler und Rall studiert. Nahe Hofbräuhaus und Platzl lebend, war er täglich auch dem Krachledernen ausgeliefert: »Oans, zwoa, ‘gsuffa!«

Die Franken können zwar über die Zwei hinauszählen, aber zu einem so kräftigen Gsuffa haben sie dann keine Kraft mehr. Mit dem damaligen Spielleiter des Platzl, dem Regisseur und Volksschauspieler Schmidt- Wildy, konnte er stundenlang beim Mittagessen über die Stammesunterschiede diskutieren.

Das Leben in Ekuador faszinierte ihn einmal wegen der freien und experimentellen Gestaltungsmöglichkeit des Schullebens, andererseits wegen des Vorhandenseins von Urkulturen, nicht nur in Form von Ausgrabungen, sondern auch von lebendigen Indianerstämmen, die ihre Gegenwart noch im steinzeitlichen Zustand gestalteten. Was ihn beeindruckte war die starke Identifikation eines jeden Stammes mit seiner Geschichte in Form von hergebrachten Trachten und Bräuchen. Sturzbachartige Niederschläge in der Regenzeit, Ungeziefer, Schnaken vom Garten bis zum Meer und das Krokodil im Salatbeet nahm er mit fränkischer Gelassenheit in Kauf.

Für Herbert Scherer war es ein Glücksfall, bei seiner Rückkehr wieder in die nähere Heimat gekommen zu sein, der er sich stark verwurzelt fühlt durch Erlebnisse, Erfahrungen und eine gesprochene Sprache, die resistenter ist als andere gegen die ständige Durchlöcherung mit Anglizismen. Es war und ist für ihn immer wieder beeindruckend, wie die sogenannten einfachen Menschen in unserer Gegend eine Sache genau auf den Punkt bringen können.

Heimat und Fremde lösen sich als Widerspruch bei ihm auf. Das eine macht das andere nur umso wertvoller. So ist auch eine Tochter in Südamerika geboren, die – wie eingangs geschildert – ihren Sohn jetzt in Finnland zur Welt gebracht hat.

In seinem schulischen Wirken haben fünf internationale Partnerschaften für die überbrückung von Gegensätzen und Widersprüchen gesorgt, und die von ihm betriebene Aufnahme des Pegnitzer Gymnasiums in den Kreis der UNESCO-Projektschulen hat endlich wirklich globale und soziale Tätigkeiten von Lehrern und Schülern ausgelöst. Herbert Scherer selbst betreut einen Studenten aus dem Benin, wie seine Frau und er schon vor fünfzehn Jahren einen Chinesen aus der ersten Volkswirtschaftergruppe, die die Universität Bayreuth ausbildete, unterstützt haben.

So wie die Franken keine Einheit bilden, so sind auch die Scherers offen für die Welt, wo sie auch das ihnen Vertraute zeigen. Im scheinbar Kleinen erhalten sie Gewohntes: jedes ihrer Hausmädchen in Ekuador hat gelernt, wie man fränkische Klöße bereitet, und zwar alles manuell.

Was aber wäre der gewürfelte Franke ohne den Witz, den Erfindungsgeist und den Einfallsreichtum? Herbert Scherer verfügt darüber im überfluss, was er regelmäßig bei Reden und Festvorträgen z.B. im Rotary- Club, beim traditionellen Heringsessen am Aschermittwoch oder beim Flindereranstich, mit dem die fünfte Jahreszeit der Pegnitzer eröffnet wird, beweist.

Der wendige Wortverdreher und witzige Sprachkünstler ist immer zur Stelle, wenn es gilt, mit Ironie Charaktere zu beschreiben, überspitzt den Alltag zu schildern oder kleine Begebenheiten treffend mit Pointen zu versehen. So sinniert er in einer Flinderer- Rede augenzwinkernd über die wortkargen Franken: »Der Franke redet im Durchschnitt nur 8 1/2 Minuten am Tag und ist noch überrascht, dass es doch so viel ist.

Mit Recht heißt es in Franken: »Drei ham schnell entschieden, wenn zwaa net neiredn. «Deshalb hat den Franken auch der Zuzug von anderen deutschen Stämmen nach dem Krieg so gut getan. Sie können aus einem inneren Drang heraus eigentlich immer reden und damit die Zeit zwischen den einzelnen verlorenen Wörtern und Sätzen der Franken füllen. Das gilt natürlich nicht für die einheimischen Frauen. Diese sind nämlich zuerst Frauen und erst dann Fränkinnen.«

Bei Herbert Scherer ist man vor überraschungen nie sicher, und das breite Grinsen kann sich sekundenschnell in ein betroffenes Lächeln verwandeln, wenn man plötzlich in das Visier seiner Glossen gerät.

Herbert Scherer – ein fränkisches Urgestein: er ist allen Lagen gewachsen, er hat wie ein Würfel viele Seiten, ist in hohem Maße wendig und doch zugleich altfränkisch beharrlich. Ein echter gewürfelter Franke eben. Ich freue mich, Sie in den Kreis der Gewürfelten aufnehmen zu dürfen. Herzlichen Glückwunsch!“

HANS ANGERER
Regierungspräsident von Oberfranken