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Fitzgerald Kusz – Nürnberg (Mittelfranken)

Auszeichnung: 2013 – Bad Windsheim

Laudatio

Er ist ein fränkischer „Klassiker“, eine „Institution“. Er wird gelesen, gespielt und übertragen, gefeiert, gelobt und gepriesen, im gesamten deutschen Sprachraum und darüber hinaus. Was den Erfolg seiner Geschichten, Theaterstücke und Gedichte ausmacht? Lassen wir andere sprechen!

In der FAZ meinte Siegfried Diehl einmal für mich sehr treffend, dass er „seinen Mitmenschen einen Spiegel vorhält“. Und auf diese Weise lotet er die „fränkische Befindlichkeit bis in die tiefsten Tiefen aus. In“ (seinen Geschichten) „drücken sich die in Franken weit verbreitete pessimistische Weltsicht, die Lust am Granteln, der Hang zur Tiefstapelei, ein unheilbarer Minderwertigkeitskomplex und ein gesundes Misstrauen aus. Gleichzeitig sind sie geprägt von Weltoffenheit und Witz“, so sagt es Steffen Radlmaier im Vorwort zu einem der wunderbaren Gedichtbände unseres Kandidaten, „Der Vollmond über Nämberch“.

Heißen Sie mit mir und mit einem donnernden Applaus herzlich willkommen den Sprachvirtuosen, Dramatiker, Lyriker und Kultautor Rüdiger -äh- Fitzgerald Kusz.

Wie ist Fitzgerald Kusz zu dem geworden, der er heute ist? Der Versuch einer Annäherung:

Seine fränkische Mutter Babette zieht im Krieg fort aus der dörflichen Enge des mittelfränkischen Forth, um Nachrichtenhelferin in Bordeaux zu werden. Dort verliebt sie sich in den Berliner Dieter Kusz, dessen männliche Vorfahren aus Ungarn stammten. Er war im zivilen Leben Baritonsänger an der Berliner Staatsoper Unter den Linden, wurde aber nach Frankreich als Soldat eingezogen. Die schwangere Mutter geht zurück nach Forth, der Vater kommt der Liebe wegen später nach, arbeitet als technischer Angestellter. Resultat des Frankreichaufenthalts neun Monate später: Rüdiger Kusz, geboren am 17.11.1944 im Nürnberger Theresienkrankenhaus, getauft von einem Pfarrer namens Notnagel, im damaligen Krieg ein adäquater Name! Kusz wächst nun „zweisprachig“ im mittelfränkischen Forth auf, ist hin- und hergerissen zwischen dem Berliner Dialekt seines Vaters und dem fränkischen Dialekt mütterlicherseits, zwischen dem schnellen Berliner Witz, der Berliner Theater- und Opernwelt, in die ihn sein Vater, ein glühender Opernfan, einführt, und der altfränkisch gewitzten, bodenständigen, vom Handwerk geprägten bäuerlichen Lebensart. Wenn er in den Sommerferien seine Berliner Großtanten besucht, gekleidet in „Boxen und Janker“, verstehen diese ihn nicht und brauchen Übersetzungshilfe von seinem Vater. Deswegen lernt er schließlich auch zu „berlinern“, um keinen Dolmetscher mehr zu benötigen. Dieses Spannungsverhältnis zwischen den Sprachen, den Dialekten, die Widersprüchlichkeit zwischen den Humorvarianten, war seine Sozialisation. Er selbst bringt sie in seinem Gedicht „dia-leckdigg“ gewitzt auf einen Nenner:

„ohne meinä muddä iä schbrouch
Kammi meim vaddä sei land
Kreizweis“.

Er selbst sagt mit einem Augenzwinkern:

„Die Demarkationslinie zwischen Preußen und Franken geht mitten durch mich durch“. Da ist es nahezu folgerichtig, dass er das Volksstück „Saupreissn“ schreibt.

Im Melanchthon Gymnasium in Nürnberg begeistert ihn sein Deutschlehrer derart für moderne Literatur, dass er in Erlangen neben Anglistik Germanistik studiert. Vom dortigen Literaturprofessor enttäuscht und frustriert, weil der nur die „toten Dichter“ lehrt, fängt er selber an Gedichte zu schreiben, zunächst auf Hochdeutsch. Die Studentenunruhen sind fast auf dem Höhepunkt angelangt, Kusz ist im Sozialistischen Deutschen Studentenbund politisch aktiv. Die Kultur-Asta Erlangen lädt 1967 den bekannten Autor Peter Handke und Ulrich Krause in den Erlanger Redoutensaal zu einer Lesung ein. Seine Freunde drängen Kusz an der Lesung teilzunehmen, setzen ihn einfach mit auf das Plakat, das zur Veranstaltung einlädt, geben ihm dafür kurzerhand den Künstlernamen Fitzgerald Kusz, geschuldet seiner Ähnlichkeit mit dem amerikanischen Präsidenten John Fitzgerald Kennedy. Denn, so seine wohlmeinenden Freunde, mit seinem Vornamen Rüdiger würde er sicherlich keine Karriere machen, wohl aber mit dem Namen Fitzgerald. Beim Auftritt stiehlt er mit einem musikalisch unterlegten Gedichtvortrag dem damals schon berühmten Autor Peter Handke die Show. Dieser Auftritt ist sein Coming-out, die Initialzündung mit dem Schreiben weiterzumachen. Und so heißt unser Rüdiger wendig wie er eben ist, ab sofort aufgrund der „Plakattaufe“ nunmehr Fitzgerald. Nur noch das Finanzamt kennt ab da seinen richtigen Vornamen!

Sein erstes fränkisches Gedicht schreibt er aus Liebeskummer 1970, als eine Freundin ihm den Laufpass gegeben hatte. Prompt hämmerte er ein Schimpfgedicht in seine kleine Reiseschreibmaschine, nachzulesen im Gedichtband „Der Vollmond über Nämberch“:

schimpfrede
suä ruudzbridschn suä elendichä
suä dreckbambl suä dreckädä
suä weibsbild suä schbinnäds
suä bläida sunnä suä bläidä
suä lusch suä groußä
ä suä sulln
ä suä
suä“.

So inspiriert schreibt er weitere Gedichte und Bücher sowie das 1. Staatsexamen. Während der Referendarzeit ab 1972 unterrichtet der Nürnberger am Fürther Hardenberg Gymnasium. Wie er auf Nachfrage behauptete, war das für ihn ganz o.k.. Lassen wir es so stehen, vielleicht sind „Nürnberger Entwicklungshelfer“ eben einfach doch sehr positiv eingestellte Menschen, selbst Fürthern gegenüber.

Im Anschluss an das 2. Staatsexamen pisakte ihn der Staat, ob seiner politischen Aktivitäten. Ganz wendig, wählte er 1974 die Stadt Nürnberg als Arbeitgeber, wurde Lehrer am städtischen Peter-Vischer-Gymnasium, mit Dr. Hermann Glaser, dem damaligen Kulturreferent, als seinem obersten Chef, der ihn in seinem künstlerischen Schaffen unterstützt. Er schreibt weiter und veröffentlicht Gedichtbände, z.B. “ „Morgn sixtäs suwisu nimmä“ (1973), „Kehrichdhaffn“ (1975), „Liichdi nei und schlouf“ (1976).

1974 erhält er von der Stadt Nürnberg seinen allerersten Preis, den Förderpreis für Literatur. 1975 wird schließlich ein entscheidendes Jahr in seinem Leben, nachdem er zunächst noch mit dem Hans-Sachs-Preis der Stadt Nürnberg ausgezeichnet wurde:

Er vollendet sein erstes Theaterstück „Schweig, Bub!“. Als er seinem künftigen Verleger Dr. Karlheinz Braun, vom – wie kann es anders sein – alternativen Verlag der Autoren das Stück „Schweig Bub!“ vorlegte, hatte dieser beim Lesen das Gefühl, einen „indonesischen Dialekt“ vor sich zu haben. Vielleicht lag es eben daran, dass Kusz in diesem Stück keinen Punkt und kein Komma ändern musste, das erste und einzige Mal übrigens. Diesem Verlag ist er immer noch treu, genau wie seiner Frau Birgit, die er ebenfalls 1975 kennenlernte, mit der er drei Kinder hat, die ebenfalls alle künstlerische oder literarische Adern haben. Seine Frau übrigens auch, sie zeichnet und malt und ist seine beste Lektorin. Jedes Gedicht wird von ihr lektoriert. Jedes einzelne. Ihr Urteil ist für ihn von unschätzbarem Wert.

Am 6. Oktober 1976 wird sein erstes Theaterstück „Schweig, Bub!“ in den Nürnberger Kammerspielen uraufgeführt, die „Geburtsstunde des modernen Volkstheaters“ laut NZ, in dem er mit dem Kleinbürgertum abrechnet. Das Publikum kringelte sich vor Lachen, als auf der Bühne „Fritzla`s“ Konfirmation gefeiert wird, der Applaus war frenetisch und langanhaltend. Bis 2010 wurde es in Nürnberg insgesamt 720 mal aufgeführt, 34 Jahre lang: 720 mal Schweinebraten, „Knidla“, „Bratwürscht“, „Tortn“, Bier und Schnaps und am Schluss die unvergessene Sophie Keeser mit den gehässigen Sätzen:

„Wie wärs, wenn ihr nächsten Sonntag zum Essen kommt?…(Dann) gibt’s erst amal a gscheite Leberkniedlassuppen.“

Das Stück „Schweig, Bub!“ wird zum Exportschlager im deutschsprachigem Ausland, wird in dreizehn deutsche Dialekte (auch ins Berlinerische!) und ins Flämische übersetzt. In katholischen Gegenden, wie soll es anders sein, ersetzt die Firmung die Konfirmation. Neun Fernsehausstrahlungen gibt es mittlerweile, wobei sich der BR in München hier ausnahmsweise nicht mit Ruhm bekleckerte, denn dort hatte man das Stück nämlich zunächst abgelehnt. Damals hatte man wohl noch was gegen Franken. So hatte aber der Hessische Rundfunk das Recht der Fernsehuraufführung für sich. Sein erstes Theaterstück „Schweig, Bub!“ war nach der Lyrikphase die Initialzündung zum Weiterschreiben für die Theaterwelt. So folgen Schlag auf Schlag Theaterstücke wie z.B. 1981 das Auftragsstück zum Preußenjahr „Saupreissn“ und „Derhamm ist derhamm“ 1982. Parallel veröffentlicht er weiter Bücher, wie 1981 „Wenndsn sixd dann saxdersn“, und „Sooch halt wos“. Und das macht er dann auch, „soochd“ dem Arbeitgeber Stadt Nürnberg 1982 „ade“, quittiert den Schuldienst, und ist seitdem freischaffender Dramaturg und Lyriker. Er bereut angeblich nichts, bis auf vielleicht die entgangene Pension. Er sammelt künftig auf den Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln seine Geschichten, in denen er die Leute „sozusagen hautnah hört“. Es folgen beinahe jährlich neue Buchpublikationen, Gedichte, Komödien, Theaterstücke, die, wie z.B. die Stücke „Burning Love“ 1984, das nicht auf fränkisch geschrieben war, „Höchste Eisenbahn“ 1985, in Berliner Hochdeutsch verfasst, oder „Witwendramen“ 2005, weltoffen und wendig, nun auch für das nichtdeutschsprachige Ausland übersetzt und dort mit großem Erfolg aufgeführt werden (z.B. in Skandinavien, Schottland, Griechenland, der Türkei, in Nord-und Südamerika).

Die noch nicht abgeschlossene Veröffentlichungsliste ist unendlich lang, sie wäre unvollständig, wenn man nicht auch die zahlreichen Fernseh- und Kinofilme erwähnen würde (z.B. 1989 „Himmelsheim“), die Hörspiele (z.B. 1995 „Alles Gute“) oder die CDs (z.B. 1998 „Fläiß fluß,“ mit Klaus Brandl, dem legendären Gitarristen und Blues- und Kusz-Partner), und seine an die tausend Auftritte und Lesungen. Der Schaffensdrang ist ungebrochen, 2012 wurde sein neuer Gedichtband „Zwetschgä“ veröffentlicht, im Mai 2013 sein neuestes Theaterstück „Göttersoap“ beim Figurentheaterfestival uraufgeführt, in dem mit der griechischen Mythologie abgerechnet wird. Sein Lieblingsgenre bleibt aber die Lyrik, wobei er die dreizeilige Gedichtform des japanischen Haiku meisterhaft beherrscht, ja von sich selbst sagt, dass er ganz süchtig danach ist, Haikus zu schreiben. Daher nochmals eine Kostprobe aus dem Gedichtband „Der Vollmond über Nämberch“, in der er auch den fränkischen Charakter, die fränkische Eigenart, kongenial beschreibt:

„am sunndoochfräih wenn nu ka audo fährd
Vuä dä roudn ambl schdäih und waddn:
Des senn miä!“

Sein Schaffen wurde mit zahlreichen Preisen und Auszeichnungen gekrönt, wie z.B. mit dem Wolfram von Eschenbach- Preis (1983), dem Bundesverdienstkreuz (1992), der Verdienstmedaille „Pro Meritis“ (1998), dem August-Graf-von-Platen-Preis der Stadt Ansbach und der Bürgermedaille der Stadt Nürnberg 2011, um nur einige zu nennen. Fehlt neben dem Eintrag in das „Guinnessbuch der Rekorde“ für „Schweig, Bub!“, eigentlich nur noch der Frankenwürfel.

Statten wir daher den mittelfränkischen Gewürfelten (Rüdiger) Fitzgerald Kusz mit den Frankenwürfelinsignien aus: herzlichen Glückwunsch!

Dr. THOMAS BAUER
Regierungspräsident von Mittelfranken