Auszeichnung: 2016 – Bad Windsheim
Laudatio
Nimmt man in Bayreuth den Namen Wagner in den Mund, so wandern die Gedanken fast zwangsläufig hinauf auf den Grünen Hügel, wo Meister Richards geniale Werke seit 140 Jahren Opernliebhaber aus der ganzen Welt verzaubern. Aber aufgepasst! Bayreuth hat jenseits von Parsifal, Holländer und Meistersinger noch viel mehr Wagner zu bieten. Immerhin findet man im Bayreuther Telefonbuch zum Namen Wagner rund 75 Einträge. Ihn findet man dort zwar nicht, aber dafür ist er ja heute auch persönlich zugegen: Dr. Eberhard Wagner aus Bayreuth, der oberfränkische Gewürfelte des Jahres 2016!
Auf den ersten Blick scheinen Richard und Eberhard nicht nur aus zwei unterschiedlichen Jahrhunderten, sondern auch aus völlig verschiedenen Welten zu kommen. Schaut man etwas genauer hin, entdeckt man aber durchaus einige interessante Gemeinsamkeiten. Beide sind Franken mit Migrationshintergrund, der eine aus Sachsen, der andere aus Thüringen. Beide hegen eine große Leidenschaft für die Musik, die den einen weltberühmt gemacht hat und den anderen fast aufs Konservatorium gebracht hätte. Und schließlich ist von beiden eine innige Zuneigung zu Italien bekannt, die Eberhard Wagner z.B. durch regelmäßige Reisen und das Erlernen der Sprache fleißig kultiviert.
Wo soll man bloß anfangen, wenn man den Franken Eberhard Wagner beschreiben will? Birgt doch sein abwechslungsreiches Leben und Wirken weit mehr Facetten als ein Würfel Seiten hat, so dass jeder Versuch, ihn vollständig würdigen zu wollen, ohnehin zum Scheitern verurteilt sein muss. Es wird also bei einigen Schlaglichtern bleiben, die ich auf das Wendige, das Witzige und das Widersprüchliche bei Dr. Eberhard Wagner werfen will – die Eigenschaften, die Hans Max von Aufsess dem gewürfelten Franken als prägende Charaktereigenschaften zugesprochen hat.
Am besten fangen wir ganz von vorne an. Geboren ist Eberhard Wagner 1938 in Weimar. Nach Kriegsende flüchtete die Familie mit dem siebenjährigen Buben im Gepäck Hals über Kopf vor den anrückenden Russen und landete schließlich auf einem Bauernhof in Gottsfeld bei Creußen. Sicher eine schwere Zeit für ein Flüchtlingskind, das urplötzlich aus der vertrauten Umgebung herausgerissen wurde und sich an das Fränkische erst einmal gewöhnen musste. Dass ausgerechnet die Auseinandersetzung mit der fränkischen Mundart einmal zu seinem großen Lebensthema werden würde, hätte sich der kleine Eberhard damals sicher nicht träumen lassen.
Das Wendige lag ihm aber schon seinerzeit im Blut, war ihm doch klar, dass er den fränkischen Dialekt unbedingt erlernen musste, wenn er dazu gehören wollte. Der Vorwurf der anderen Kinder „Du kannst ja nicht mal richtig plaudern“ saß tief.
Die Zeit in Gottsfeld war sicherlich prägend für sein weiteres Leben. Wer aber meint, dass die aufkeimende Liebe zum fränkischen Dialekt automatisch den Weg zur späteren Mundartforschung gebahnt hätte, der irrt. Seine ursprüngliche Leidenschaft galt der Musik. Und er beherrscht die Geige ganz hervorragend.
Dass Eberhard Wagner stattdessen über das Studium der Germanistik, Geschichte und Dialektologie einen wissenschaftlichen Weg einschlug, entpuppte sich für die Franken als echter Glücksfall. Er landete nämlich in der Redaktion des Ostfränkischen Wörterbuchs der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, zunächst in Erlangen, später in Bayreuth, wo er sich fortan der fränkischen Mundartforschung widmete. Zwar hatte man schon ab 1928, also lange vor seiner Zeit, unzählige Fragebögen an Lehrer, Pfarrer, Bürgermeister, Bauern und andere Mundartsprecher verschickt, um den Dialekt der jeweiligen Gegend zu erfassen und die korrekte Aussprache von typischen Wörtern schriftlich festzuhalten. Aber mit Eberhard Wagner am Schalthebel bekam das lange brach liegende Projekt neuen Schwung.
In jahrelanger Kleinarbeit wertete er das gesammelte Material aus – um die sechs Millionen Belege in Schubern, Ordnern, Karteikästen und Kartons. 2007 war es endlich soweit. Mit der Präsentation des „Handwörterbuchs von Bayerisch-Franken“ am symbolträchtigen Dreifrankenstein bei Schlüsselfeld, dort wo sich die drei fränkischen Regierungsbezirke berühren, fand sein berufliches Lebenswerk eine wunderbare Krönung. Das erste gesamtfränkische Wörterbuch mit rund zweitausend fränkischen Grundbegriffen auf 640 Seiten! Eine wahre Schatztruhe für alle Mundartfans mit bleibendem Wert für nachfolgende Generationen, denn viele Begriffe, die heutzutage nicht mehr verwendet werden, wären ohne Eberhard Wagners Arbeit für immer verloren. Ein Exemplar ist sogar in die Bibliothek der Bayerischen Staatskanzlei gewandert, damit sich die höchsten Beamten im Freistaat endlich ein vollständiges Bild von der Schönheit und Vielfalt der fränkischen Sprache machen können.
Neben dem wissenschaftlichen pocht schon immer und nicht minder laut ein poetisches Herz in Eberhard Wagners Brust. Perfekt buchstabiert er als Autor von Lyrikbänden, Bühnenstücken und Romanen das ganze Alphabet fränkischer Sprach- und Sprechkunst.
Eberhard Wagner macht Mundart lebendig. Und er regt andere Menschen dazu an, selbst Mundart zu reden oder sich wenigstens mit ihr zu beschäftigen. In der Mundart kann man die Dinge viel treffender zum Ausdruck bringen als in der Hochsprache. Vor allem, wenn es um Emotionen geht. Wie schön flucht es sich doch auf Fränkisch! Zum Beispiel „Dunnerkeil!“ oder „Himmldunnerwedder“ oder „Herrschaft-Zeidn-nuamol“!. Und finden Sie die zart gehauchte Liebeserklärung „Iech moch diech“ nicht auch viel sinnlicher als ein schnödes hochdeutsches „Ich liebe dich“?
Bei aller Freude, die Eberhard Wagner verbreitet, legt er doch großen Wert darauf, dass der Gebrauch von Dialekt nicht auf die Comedy-Schiene gerät. Mundart ist für ihn etwas Ernsthaftes und Mundartsprechern begegnet er mit allergrößtem Respekt.
Ein besonderes Faible hat Eberhard Wagner für das Theater. Mit einigen Mitstreitern, die wie er das Feuer der Schauspielkunst in sich tragen, gründete er vor über 30 Jahren die Studiobühne Bayreuth. Professionelle Theatermacher und ehrenamtliche Amateure wie er ergänzen sich dort zu einem äußerst bemerkenswerten kulturellen Schaffen. Und er wagte sich auch selbst auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Ob in Dürrenmatts Physiker, in Shakespeares Sommernachtstraum oder als Herr Pettersson an der Seite des listigen Katers Findus – Eberhard Wagner bewies in vielen Rollen sein schauspielerisches Talent und begeisterte die Zuschauer, ob groß oder klein.
Hoch her geht es, wenn Eberhard Wagner als Mitglied des selbst geschaffenen „AFR“ und mit dem Rentnerschlachtruf „Ka Zeit, Ka Zeit“ die Kabarettbühne betritt. Hinter dem „AFR“ verbirgt sich der „Arbeitskreis freischaffender Rentner“ und dessen Vereinsmitglieder Karl Niemand und Fritz Keiner. Der eine ein ewiger Griesgram und Hypochonder, der andere einer dieser jungen Alten, immer gut drauf und nicht zu bremsen. Mit den beiden arbeitet sich Eberhard Wagner durch ein atemraubendes Programm: von den Widrigkeiten des Alltags wie z.B. störrischen Plastiktüten am Obststand über diverse Belanglosigkeiten und das aktuelle Stadtgeschehen bis hin zur großen Tagespolitik. Das Problem dabei: Niemand und Keiner machen ihren Namen alle Ehre und sind in gewohnt unzuverlässiger Weise überhaupt nicht erschienen. Wahrscheinlich sind sie wieder einmal im Rentnerstress und haben „Ka Zeit“. Also übernimmt Eberhard Wagner kurzerhand die Rollen der beiden viel beschäftigten Rentner im fliegenden Wechsel selbst. Mit Hut, Janker und altmodischer Brille gibt er den griesgrämigen Karl Niemand, mit quietschgelbem Jackett und Sportlermütze verkörpert er den lebensfrohen Fritz Keiner. Gekonnt und fränkisch-pointiert springt er von Typ zu Typ und von Thema zu Thema, mit viel Augenzwinkern, Sprachwitz, köstlicher Mimik und ausdrucksstarker Gestik.
Unter dem Motto „Aufs Maul gschaut“ nimmt Eberhard Wagner einmal wöchentlich in der Mundartshow beim Lokalsender Radio Mainwelle den fränkischen Dialekt unter die Lupe. Wer würde sich auch besser dazu eignen, die Mundart im Rundfunk unters Volk zu bringen? Dort macht er Mut, zum Dialekt zu stehen, und erinnert die Bayreuther an längst vergessene Begriffe und Ausdrücke. Sein eigener fränkischer Lieblingsbegriff ist das Wörtchen „a weng“, wie er dem Nordbayerischen Kurier in einem früheren Interview verraten hat. Dort schildert er, wie vielseitig man diesen Begriff verwenden kann: „Man kann a weng Geburtstag feiern. Man fragt: Wer ist denn a weng gestorben? Man kann a weng das Fenster aufmachen und sich a weng a Tüte geben lassen.“
Deshalb hat sich Eberhard Wagner auch ganz bestimmt über das kürzlich vom Bezirk Oberfranken gekürte oberfränkische Wort des Jahres 2016 gefreut, einen echten oberfränkischen Klassiker, der mit seinem Lieblingswort eng verwandt ist. Was sagt der Oberfranke, wenn in der Dorfwirtschaft das Schnitzel nicht über den Tellerrand hängt oder wenn der Geburtstagszuschuss von der Oma recht mickrig ausgefallen ist?
„A weng weng!“ So schön ist Fränkisch, nicht wahr?
Sehr geehrter Dr. Wagner, heute will ich Ihnen „a weng“ den Frankenwürfel überreichen. Und das ist nicht „a weng weng“, sondern der höchste Ehrerweis, der einem Franken zuteil werden kann und über den man sich ruhig a weng freuen kann. Herzlichen Glückwunsch und willkommen im Kreis der gewürfelten Franken!
HEIDRUN PIWERNETZ
Regierungspräsidentin von Oberfranken