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Christian Schmidt – Ansbach (Mittelfranken)

Auszeichnung: 2011 – Neuses am Sand

Laudatio

Werte gewürfelte Franken, werte Ehrengäste, liebe Kollegen und Kolleginnen, meine sehr geehrten Damen und Herren,
darf man das eigentlich, einem hohen kirchlichen Würdenträger den Frankenwürfel verleihen? Darf man einem evangelischen Regionalbischof die Eigenschaften wendig, witzig und widersprüchlich zuschreiben, die konstitutiv sind, um als „gewürfelter Franke“ gelten zu dürfen? Ich weiß nicht, ob man das darf. Ich weiß nur, man darf das bei Christian Schmidt, einem offenen und herzensguten Menschen, dem bewusst ist, dass man nicht abheben darf, will man mit beiden Beinen auf dem Boden stehen und der selbst sagt: „Wir dürfen uns selber nicht zu ernst nehmen!“ In Neuendettelsau geboren ist Christian Schmidt Franke durch und durch, den Menschen hier zeitlebens eng verbunden und trotz seiner kirchlichen Erfolgslaufbahn volksnah geblieben. Heißen wir den Regionalbischof des Kirchenkreises Ansbach-Würzburg, heißen wir den Menschen Christian Schmidt, mit einem Applaus herzlich willkommen!

Was aber macht ihn nun zum „gewürfelten Franken“ und was ist eigentlich ein „Gewürfelter“? „Ein Gewürfelter ist ein Mensch, den es im Leben schon genug hin und her, auf und ab geworfen hat, einer daher, der sich auskennt und anpasst, der, wie die Dinge auch immer laufen, seinen eigenen Standpunkt zu beziehen und etwas Treffendes dazu auszusagen weiß… . Ein gewürfelter Mann genießt in Franken durch seinen erdnahen Realismus höchste Achtung und Vertrauen“, schrieb einst Hans Max von Aufsess als geistiger und literarischer Vater des Frankenwürfels in seiner Essaysammlung „Der Franke ist ein Gewürfelter“. Und das trifft auf unseren wendigen, witzigen und widersprüchlichen Preisträger auch alles ohne Einschränkung zu:

Seine Wendigkeit, aber auch seine Widersprüchlichkeit zeigt sich für mich nicht zuletzt in seinem beruflichen Werdegang und der Art, wie er seine jeweiligen Amtsanforderungen interpretiert. Er studierte und arbeitete im Pfarrberuf fast ausschließlich in Franken. Mit einer kleinen Ausnahme, das Pfarrvikariat war in Oberbayern. Dennoch ist das kein Zeichen von mangelnder Weltoffenheit, eher ein Zeichen für Heimatverbundenheit und Verbundenheit den Menschen seiner Kirche gegenüber. Während seiner langen Berufsausübung hat Schmidt gleich mehrmals ungewöhnliche biografische Spitzkehren hingelegt:

Einmal, als er in den frühen achtziger Jahren Nürnberg als Dritter Pfarrer von St. Lorenz verließ, um knapp 20 Jahre später, 1998, dorthin als Dekan zurückzukehren – denn üblicherweise ist der Abschied von einer Kirchengemeinde ein Weg ohne Wiederkehr. Und das andere Mal, als er vom Prodekanat in Nürnberg das Leitungsamt verließ, um sich nur mehr der theologischen Konzept- und Beratertätigkeit am Nürnberger Gottesdienstinstitut und am Bad Windsheimer „Museum Kirche in Franken“ zu widmen. Das wirkte hierarchisch betrachtet wie ein Rückzug, wie das Ende einer „Karriere“. Denn es ist absolut unüblich, in der Hierarchieleiter freiwillig wieder einige Sprossen rückwärts zu gehen. Dann übernahm er – wieder überraschend – eines der verantwortungsvollsten Leitungsämter der evangelischen Kirche in Bayern, obwohl er eigentlich die „Ochsentour der Kirchenkarriere“ abgeschlossen hatte und sich einfach nur mehr ganz der Theologie widmen wollte. Als er gefragt wurde, warum er sich dieses neue Leitungsamt denn noch antue, antwortete er bescheiden: „Ich gehe dorthin, wo ich gebraucht werde“.

Nun ist er als Regionalbischof „Hirte“ von rund 422.000 Protestanten in 19 Dekanaten mit insgesamt 462 Kirchengemeinden zwischen Hoher Rhön und Hahnenkamm und versucht, das zusammen“gewürfelte“ mittel- und unterfränkische Kirchenvolk zu einen, was ihm durch seine unorthodoxe und volksnahe Art bestens gelingt. Mit seiner Spanne zwischen Diaspora und evangelischem Kernland bildet dieser Kirchenkreis die konfessionellen Verhältnisse Bayerns im Kleinen ab, und diesen zu einen, ist eine Aufgabe, die wendiges Verhalten geradezu voraussetzt.

Qua angetretenem geistlichem Amt „visitiert“ er so im katholischen Unterfranken, aber auch im evangelischen Westmittelfranken seinen evangelischen Kirchenkreis, aber nicht nur diesen, sondern auch sich selbst. Denn als Regionalbischof muss er auch den Prior des evangelischen Klosterkonvents Heilsbronn visitieren, und das ist er selbst. Ein Jurist, wie ich es einer bin, würde dies als unzulässiges Insichgeschäft ansehen. Ich bin mir aber sicher, dass Regionalbischof Schmidt, mit allen Klosterwassern gewaschen und mit allen Regeln der theologischen Auslegungskunst ausgestattet, eine Lösung für dieses Problem der Selbstbeaufsichtigung gefunden hat. Ich wünsche ihm jedenfalls viel Freude bei seinen Besuchen bei sich selbst!

Als Regionalbischof ist er neben der Visitation auch zur „öffentlichen Wortverkündigung“ verpflichtet. Diese Chance nutzte er schon lange vor Amtsantritt selbst kräftig in Wort und in Schrift. Er predigt von ganz normalen Themen des Kirchenjahres, wie Reformationsfest, Gründonnerstag und Advent, aber auch über die „Hüttenheimer Kirchweih“, den „Biergarten“, die „Lust aufs Land“, eine „Handwerkerandacht“, das „Würzburger Blaulicht“ und den „Schäferwagen“, bis hin zu einem „Brotrauschfest“.

Dabei kommt er bei den Menschen gut an. Denn die Predigten hält er nicht, wie man es vielleicht von einem „ehrwürdigen Bischof“ erwarten würde, in gedrechseltem Hochdeutsch. Nein, er hält sie oft in fränkischer Mundart und zwar meist in gewitzten Reimen. Spätestens seit er am Pfingstmontag 2010 die Festpredigt auf dem Bayerischen Evangelischen Kirchentag auf dem Hesselberg vor tausenden Gottesdienstbesuchern in Fränkisch gehalten hat, gilt Fränkisch als salonfähig auf bayerischen Kanzeln. Er scheut sich auch nicht, als fränkischer Botschafter in der Hauptstadt tätig zu sein, indem er in der bayerischen Vertretung in Berlin die Weihnachtsgeschichte auf Fränkisch rezitiert. Der 2010 im Heilsbronner Münster gehaltene Weihnachtsgottesdienst, in dem er ebenfalls die Weihnachtsgeschichte auf fränkisch hielt, wurde vom Fernsehen sogar in die ganze Republik übertragen. Mundart und Reim haben sich dabei für ihn als gutes Transportmittel für das Wort Gottes erwiesen: „Des hätt er uns so net sogn könna!“, mit diesen Worten verließen zwei Damen einmal die Pegnitzer Stadtpfarrkirche nach einer seiner fränkischen Faschingspredigten. Dazu im Originalton Schmidt:“ Reim und Dialekt erlauben es eben, manches deutlicher, kräftiger und vielleicht auch herzlicher zu sagen, als es sonst in einer Predigt möglich wäre. Der Dialekt vermittelt das Gefühl von Heimat, der Reim verleiht dem Ganzen ein gewisse Leichtigkeit. So wird auch das, was sonst nicht so gut schmeckt, gleichsam in einen süßen Mantel gehüllt, wie es bei heilsamen, manchmal auch bitteren Pillen der Fall sein soll“.

Unter dem Titel „Die Kanzel wird zur Bütt“ gibt Christian Schmidt seit 1997 eine Buchreihe mit jeweils 11 seiner Dialektpredigten heraus, 2010 erschien der 6. Band. Den Erlös aus dieser Reihe setzt er für gemeinnützige oder soziale Zwecke ein, sei es für Menschen in Franken, wie z.B. dem Kindergarten in Pegnitz, den Lorenzer Laden, das „Eine Weltladen Cafe“ in Nürnberg, das Kloster Heidenheim am Hahnenkamm oder auch im Kongo für Partnerschaftsprojekte des Klosterkonvents Heilsbronn. So verbindet er weltoffen und wendig Menschen aus Franken und aus Afrika.

Wer glaubt, der Bischof sei dabei thematisch nur geistlichen Dingen zugetan, täuscht sich gewaltig. 2010 setzte er sich etwa in besonderer Weise für die Menschen in einer strukturschwachen Region Frankens ein: Er demonstrierte mit Arbeitslosen in Neustadt a. d. Saale, schrieb geharnischte Protestriefe und hob mit deutlichen Worten die soziale Verantwortung von Konzernen hervor. Entgegen seiner sonst so üblichen Gewohnheit durchaus in Hochdeutsch. Und auch das kam an.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
lassen Sie mich abschließen, mit einem Auszug aus einer „fränkischen Meditation“ von Christian Schmidt, die mich besonders angesprochen hat:

Im Lauf der Zeit zur Mitte finden

„Is Lebn kummt mer manchmol grod
su vor als wie a riesen Rod,
des dreht si fort, geht immer zu,
und mer kummt gor net recht zur Ruh.

Ja, dunkle Zeiten, helle Stundn,
amol bis drobn, dann wieder druntn,
und manchmol maanst, du kummst, o Graus,
aus dera Tretmühl niemols raus.

Doch horch, wenn i su überleg –
ich glaab, do geberts scho an Weg,
weil, wasst, im Herzen vom Taifun,
do könnt a Kindla ganz ruhig ruhn.

Drum müssert mer, statts zu rotiern,
es immer wieder ausprobiern
und schaua, wenn der Schädel brummt,
dass mer vom Rand zur Mittn kummt. …“

Sehr geehrter Herr Regionalbischof,
mit der heutigen Verleihung des Frankenwürfels an Sie soll auch ein wenig verdeutlicht werden, dass nach meinem Eindruck die Kirche fest verbunden ist mit den Menschen in Franken und ihre Sprache spricht, zumindest wenn diese Sprache aus Ihrem Munde kommt. Herzlich willkommen im Kreise der Alt- und Neugewürfelten, sehr geehrter Herr Schmidt!

Dr. THOMAS BAUER
Regierungspräsident von Mittelfranken